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EU-Rat verschiebt ENFOPOL-Verabschiedung
Denkpause nach Telepolis-Enthüllungen

Hannover/München, 26. Mai 1999 - Der EU-Rat hat die für Ende Mai geplante Verabschiedung der weitreichenden Überwachungspläne der EU durch die Justiz- und Innenminister um mindestens sechs Monate verschoben. Die Pläne unter dem Codenamen ENFOPOL 98 waren durch die Berichterstattung in Telepolis - Magazin der Netzkultur (www.heise.de/tp) bekannt geworden.

Man wolle Zeit geben für eine öffentliche Diskussion, hieß es in einer offiziellen Stellungnahme. Damit wurde eine der zentralen Forderungen von Telepolis als legitim anerkannt. ENFOPOL 98 ist damit jedoch noch nicht vom Tisch. Bürgerrechtsgruppen, kritische Parlamentarier und Industrie sind nun gefragt, ihre Argumente in die Waagschale zu werfen. Neben den Abhörplänen selbst, die "gesetzlich ermächtigten Behörden" weitreichende Möglichkeiten zur Überwachung jeglichen Internet- und Telekommunikationsverkehrs geben sollten, rief vor allem die geheime Art der Vorbereitung des Ratsbeschlusses Kritik hervor.

Der englische Journalist Duncan Campbell hat in Berichten für Telepolis und für die STOA-Kommission des Europaparlaments detailliert gezeigt, daß die Maßnahmen auf der vom FBI 1992 ins Leben gerufenen internationalen polizeilichen Arbeitsgruppe International Law Enforcement Telecommunications Seminar (ILETS) beruhen. Diese Gruppe hatte seit 1992 in einer Serie geheimer Treffen - vorbei an jeglicher parlamentarischen Kontrolle - die sogenannten International User Requirements (IUR) entworfen. 1995 waren diese IUR bereits zum Bestandteil einer EU-Resolution geworden, ohne damals öffentliche Kritik hervorzurufen. Mit ENFOPOL 98 versuchte man, die IUR auf das Internet und auf neue Formen der digitalen Telekommunikation auszuweiten.

Ein EU-Ratsbeschluß ist für die einzelnen Staaten zunächst nicht gesetzlich bindend; die darin festgelegten Regelungen müssen erst in nationales Recht umgesetzt werden. Mit diesem Argument sowie der Feststellung, es handle sich "nur" um ein Update der Resolution von 1995, haben Stellen des Innenministeriums Fragen von Reportern und Interessensverbänden - teilweise erfolgreich - abzuwiegeln versucht. Zuvor hatten sie lange Zeit die Existenz der ENFOPOL-Pläne geleugnet.

Doch wie die jüngst bekanntgewordene Vorlage der Neuordnung der Telekommunikationsüberwachungsverordnung (TKÜV) in Deutschland zeigt, haben die IURs von 1995 ebenso wie die noch nicht verabschiedeten Maßnahmen von ENFOPOL 98 sehr wohl Auswirkungen auf deutsches Recht. Aus Sicht der Polizeiarbeitsgruppe erscheint es methodisch konsequent, daß die vorgeschlagenen Überwachungsbefugnisse nicht den Status von Gesetzen, sondern von Verordnungen einnehmen. Deshalb muß über sie nicht in Parlamenten abgestimmt werden.

Im November 1998 begann Telepolis als erstes Presseorgan mit der Berichterstattung über ENFOPOL, nachdem ihm im Herbst 1998 das 42seitige Dokument mit detaillierten Beschreibungen über das Abhören der Telefon- und Internetkommunikation zugespielt worden war. Zuvor war ENFOPOL nur in einer Ausgabe des englischen Newsletters Statewatch erwähnt worden. Kurz nach den ersten Artikeln von Erich Möchel und Christiane Schulzki-Haddouti veröffentlichte Telepolis das ENFOPOL-98-Dokument in voller Länge, später dann alle weiteren, revidierten Fassungen der ENFOPOL-Unterlagen.

Mit der Veröffentlichung der Originalunterlagen verbreitete sich die Nachricht im Internet. Renommierte internationale Medien griffen das Thema auf: unter anderem Channel 4, The Observer, The Irish Times, Wired News, El Pais. Durch die Presseberichte wurden Mitglieder des Deutschen Bundestags ebenso wie Mitglieder des Europäischen Parlaments alarmiert. Zuvor hatten sie von den ENFOPOL-Plänen nichts gewußt.

Das Special zu ENFOPOL finden Sie in Telepolis unter www.heise.de/tp/deutsch/special/enfo/default.html Die Mailingliste "tp-aktuell" informiert Sie alle 14 Tage per EMail über aktuelle Artikel und Themen. Sie können sich unter www.heise.de/tp/deutsch/html/sub.html anmelden.